Von der Fachnische ins digitale Rampenlicht: Warum Architektur-Influencer eine immer wichtigere Rolle in der öffentlichen Kommunikation spielen
Lange Zeit war die Architektur ein Thema für Fachkreise. Die Vorstellung neuer Bauprojekte erfolgte meist über Wettbewerbe, Fachmagazine oder Konferenzen. Wer sich für städtebauliche Entwicklungen oder gestalterische Details interessierte, musste gezielt danach suchen – oder Teil der Branche sein. Doch dieser Zustand verändert sich rasant. Eine neue Generation von Kommunikator:innen tritt auf den Plan: sogenannte Architektur-Influencer. Sie dokumentieren, kommentieren, interpretieren – und erreichen damit Hunderttausende Menschen.
Architektur auf Instagram, YouTube & Co.: Mehr als schöne Fassaden
Was vor wenigen Jahren als Randerscheinung begann, ist inzwischen ein medienwirksames Phänomen. Architektur-Influencer posten nicht nur ansprechende Bilder von modernen Glasbauten oder denkmalgeschützten Altbauten. Sie erzählen Geschichten: über Bauprozesse, über das Leben im Raum, über städtebauliche Konflikte und nachhaltige Lösungen. Sie schaffen visuelle und emotionale Zugänge zu einer Disziplin, die vielen als abstrakt oder elitär galt.
Ein typisches Beispiel: Die Instagramerin Marina Fehr (@modern_archi_vision) dokumentiert regelmäßig ihre Besuche bei Wohnbauprojekten mit Fokus auf ökologisches Bauen. Ihre Follower – über 90.000 an der Zahl – schätzen nicht nur die ansprechenden Bilder, sondern auch die fundierten Texte, in denen architektonische Konzepte verständlich erklärt werden.
Auch auf YouTube gibt es erfolgreiche Formate. Der Kanal „Raum und Licht“ porträtiert Bauwerke in atmosphärischen Videodokumentationen. Statt nüchterner Architektensprache dominieren ruhige Kamerafahrten, dezente Musik und Interviews mit den Gestaltenden selbst. Architektur wird hier fühlbar gemacht – über visuelles Storytelling.
Von Öffentlichkeitsarbeit zur Community-Kommunikation
Was bedeutet das für Architekturbüros, Stadtverwaltungen oder Bauherren? Vor allem eines: Die Kommunikationslandschaft hat sich verändert. Öffentlichkeitsarbeit findet längst nicht mehr nur über Pressemitteilungen und Fachveranstaltungen statt. Wer heute wahrgenommen werden will, muss dort präsent sein, wo Menschen ihre Informationen beziehen – und das ist zunehmend auf sozialen Medien.
Dabei eröffnet die Zusammenarbeit mit Influencern neue Perspektiven. Sie agieren nicht als klassische Werbeträger, sondern als intermediäre Erzähler. Ihre Inhalte sind oft persönlicher, nahbarer und weniger werblich als etwa klassische Imagefilme. Der Vorteil liegt in der Glaubwürdigkeit. Influencer gelten als authentisch – auch weil sie nicht nur Projekte vorstellen, sondern gelegentlich auch kritisch begleiten.
Wie beeinflussen Influencer die Wahrnehmung von Baukultur?
Ein zentrales Merkmal von Architektur-Influencern ist ihre Fähigkeit, Emotionen zu erzeugen. Während Architekturzeitschriften häufig technisch und abstrakt berichten, schaffen Influencer einen Zugang über Stimmungen, visuelle Ästhetik und persönliche Erfahrungsberichte. Sie zeigen Architektur nicht nur als Produkt, sondern als sozialen Raum.
Damit tragen sie auch zur Demokratisierung der Baukultur bei. Wo früher Experten dominierten, mischen sich heute Stimmen aus unterschiedlichsten Kontexten ein: Studierende, Fotograf:innen, Bauherr:innen oder interessierte Laien. Das führt zu einer lebendigeren Debatte über den gebauten Raum – und letztlich zu einer stärkeren gesellschaftlichen Teilhabe an der Frage: Wie wollen wir wohnen, leben und bauen?
Wer profitiert von der Zusammenarbeit?
Für Architekturbüros bietet die Zusammenarbeit mit Influencern mehrere Vorteile:
Reichweite: Projekte werden einem größeren Publikum bekannt gemacht – auch außerhalb der Branche.
Imagebildung: Die Präsenz in sozialen Medien stärkt das eigene Markenprofil und signalisiert Offenheit sowie Zeitgeist.
Bewerberansprache: Gerade jüngere Talente informieren sich zunehmend über Instagram, TikTok oder LinkedIn, wenn sie auf Jobsuche sind.
Transparenz: Der offene Umgang mit Bauprozessen stärkt das Vertrauen potenzieller Kunden oder Bürger:innen.
Auch Kommunen nutzen Influencer zunehmend zur Kommunikation von Stadtentwicklungsprozessen. Statt nüchterner PDF-Flyer setzt man auf Instagram-Stories oder YouTube-Dokumentationen, um etwa Beteiligungsverfahren oder Infrastrukturprojekte zu vermitteln.
Zahlen & Entwicklungen: Der wachsende Einfluss
Zwar sind Architektur-Influencer (noch) kein Massenphänomen wie Mode- oder Reiseblogger, doch die Zahlen sind beachtlich. Laut einer Branchenumfrage des Netzwerks „ArchKom“ aus dem Jahr 2024 gaben 58 % der befragten Architekturbüros an, bereits mit Influencern zusammengearbeitet zu haben oder dies in naher Zukunft zu planen. Rund 40 % der Büros berichten von positiven Effekten auf die Außenwahrnehmung und steigenden Bewerberzahlen.
Einige Influencer bringen es auf Reichweiten von über 100.000 Followern – mit regelmäßigen Engagement-Raten zwischen 5 und 10 %. Das ist im Vergleich zu klassischer Werbung ein enormer Wert.
Auch TikTok gewinnt an Bedeutung. Dort erreichen kurze Videos zu Architekturthemen bis zu mehrere Hunderttausend Views – insbesondere bei der Zielgruppe der 18–25-Jährigen. Die Themen reichen von Mikroapartments über Baufehler bis hin zu spannenden Wohnexperimenten.
Risiken und Herausforderungen
So viel Potenzial die Influencer-Kommunikation auch birgt – sie ist nicht ohne Fallstricke. Kooperationen müssen sorgfältig geplant und auf ihre Zielgruppe abgestimmt sein. Wer einfach nur ein Projekt “hübsch präsentieren” lässt, riskiert eine oberflächliche Kommunikation ohne Mehrwert.
Zudem ist nicht jeder Influencer ein Fachmensch. Eine zu starke Vereinfachung oder falsch wiedergegebene Informationen können die Glaubwürdigkeit des Architekturbüros beschädigen. Wichtig ist daher, gemeinsam mit den Influencern eine Storyline zu entwickeln, die sowohl fachlich korrekt als auch narrativ ansprechend ist.
Ein weiteres Thema ist die rechtliche Absicherung. Werbung muss klar als solche gekennzeichnet werden. Verstöße gegen Kennzeichnungspflichten können Abmahnungen nach sich ziehen.
Erfolgsfaktoren für sinnvolle Kooperationen
Was macht eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Architekten und Influencern aus? Einige Empfehlungen:
Zielgruppe definieren: Soll das Projekt junge Wohnungssuchende, Investoren oder Nachbarschaften ansprechen?
Authentizität wahren: Influencer sollten zu Büro und Projekt passen – thematisch wie stilistisch.
Langfristige Partnerschaften aufbauen: Wiederkehrende Formate schaffen Vertrauen und Tiefe.
Dialog fördern: Gute Influencer lassen Raum für Fragen, Kritik und Beteiligung.
Inhalte abstimmen, aber nicht diktieren: Redaktionsfreiheit ist wichtig – innerhalb fachlicher Rahmen.
Fazit: Architektur sichtbar machen – heute mehr denn je
In einer Zeit, in der unsere Städte wachsen, sich wandeln und auf neue Herausforderungen reagieren müssen, braucht es eine Öffentlichkeit, die Architektur versteht – und darüber diskutiert. Architektur-Influencer leisten hier einen wichtigen Beitrag. Sie holen Baukultur aus der Nische, geben ihr ein Gesicht, eine Stimme, eine Geschichte.
Für Architekten, Planer und öffentliche Bauherren liegt hierin eine große Chance: Wer sich öffnet, erklärt und beteiligt, gewinnt nicht nur Sichtbarkeit – sondern auch gesellschaftliche Relevanz. Architektur wird so nicht nur gebaut, sondern erzählt.