Im 20. Jahrhundert gab es eine künstlerische Gegenbewegung zum klassischen Ballett, den expressionistischen Tanz. Dieser wurde auch Ausdruckstanz, freier Tanz, neuer künstlerischer Tanz oder German Dance genannt. Er ist von Formen des Gesellschaftstanzes abzugrenzen, weil er nicht zur „oberflächlichen“ Unterhaltung dargeboten wird, sondern dem künstlerischen individuellen Darstellen von Gefühlen der tanzenden Person dient.
In den 1920er und 1930er Jahren wurde die Stadt Dresden zum Zentrum des expressionistischen Tanzes: dort gründeten im Jahr 1920 Mary Wigman und im Jahr 1924 Gret Palucca ihre neuen Tanzschulen. Diese Orte des Lernens zogen Tänzerinnen und Tänzer aus der ganzen Welt nach Dresden. Als der Japaner Öno Kazuo die Tanzlehrer Wigman, Kreutzberg und Hoyer bei ihrer Arbeit sah, veranlasste ihn dies dazu, das Tanztheater „Butoh“ zu konzipieren. Hanya Holm, Assistentin von Mary Wigman, gründete im Jahr 1931 in Amerika eine Wigman-Schule und gab dort Soloabende.
Martha Graham, Amerikanerin, wurde in den USA die einflussreichste Tänzerin, Lehrerin und Choreografin des neuen expressionistischen Tanzes, welcher in den Staaten den Namen „Modern Dance“ erhielt. Auch sie begründete eine eigene Tanzschule und konzipierte ein eigenes Vokabular für den „Modern Dance“, das dem klassischen Ballett-Vokabular vergleichbar war. Im Jahr 1957 reiste Martha Graham nach Deutschland und tanzte im Rahmen der Berliner Festwochen auf der Bühne der Akademie der Künste in Berlin.
Weitere wichtige expressionistische Ausdruckstänzer waren Gertrud und Ursula Falke in Hamburg, Jean Weidt, und die beiden Maskentänzer Lavinia Schulz und Walter Holdt. In Schweden waren Birgit Âkesson und Birgit Cullberg berühmt, letztere als Begründerin eines schwedischen expressionistischen Ballettensembles.
Berühmte Choreografien des Tanztheaters stammen von Kurt Jooss, der Ballett und Ausdruckstanz miteinander vereinte, und Mary Wigman. Als Beispiel sind hier „Der grüne Tisch“ von Jooss im Jahr 1932 zu nennen, und das Anti-Kriegs-Tableau „Totenmal“ von Wigman aus dem Jahr 1930.
Beeindruckend war die Arbeit der Falke-Schwestern mit Gruppen wie Bewegungschören. Labans Schülerin Lola Rogge setzte diese Arbeit fort und leitete die Labanschule in Hamburg weiter, die bis heute besteht.
Wie in allen Künsten wurde durch die Zeit des Nationalsozialismus auch die Fortentwicklung des Ausdruckstanzes in Deutschland unterbrochen. Viele Künstler beendeten ihre Karrieren als Tänzerinnen und Tänzer, einige nahmen sich das Leben oder emigrierten aus Deutschland. Doch es gab auch einige, die sich auf ihre Art und Weise mit dem Nazi-Regime arrangierten: Erotik und Nackttanz fanden unter dem Namen „Schönheitstanz“ bis in die Kriegsjahre hinein Bewunderer und Sponsoren. Die Künstlerin Mary Wigman durfte glücklicherweise ihre Tanzschule weiterbetreiben. Sie konnte im Jahr 1936 die Olympischen Spiele in Berlin mit ihrer Darbietung eröffnen.
Der Expressionistische Tanz entwickelte sich als Gegenbewegung zum klassischen Ballett. Die Tanzform wird häufig auch als Ausdruckstanz, Freier Tanz oder German Dance bezeichnet und entstand ganz zu Anfang des 20. Jahrhundert. Der künstlerische und der individuelle Ausdruck von Gefühlen bildet den Mittelpunkt des Expressionistischen Tanzes. Damit steht er im Gegensatz zum Gesellschaftstanz, bei dem eher der unterhaltende Aspekt im Vordergrund steht.
Die natürliche Bewegung sollte von nun an beim Ausdruckstanz die wichtigste Rolle spielen. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts wurde das „natürliche Verhalten“ auf der Bühne und in der Gesellschaft vom sogenannten Delsarte-System gefordert, das von dem französischen Bewegungstherapeuten François Delsarte entwickelt worden war. Die amerikanische Choreografin und Tänzerin Isadora Duncan war schließlich die Erste, die Körper, Geist und Seele im Tanz verbinden wollte. Sie orientierte sich an Motiven des alten griechischen Tanzes, die sie Werken von Philosophen, Dramatikern und Künstlern entnahm. Isadora Duncan war es auch, die die erste Tanztheorie zum Expressionistischen Tanz verfasste.
1910 war der Ausdruckstanz dann in Deutschland angekommen. Clotilde von Derp aus München beschäftigte sich intensiv mit diesem neuartigen Tanzstil. Nach und nach entstanden weitere Tanz- und Gymnastikschulen, unter anderem Emil Jaques-Dalcrozes „Bildungsanstalt für Musik und Rhythmus“ unweit von Dresden.
In Ascona in der Schweiz entstand das Künstlerzentrum Monte Verità. Hier spielte die „natürliche Bewegung“ eine Schlüsselrolle. Rudolf von Laban rief hier während des Ersten Weltkriegs eine Schule ins Leben, in der er die Bewegungskunst lehrte. Im Laufe seiner Arbeit entwickelte er ein Tanzschrift und festige dadurch die Theorie des Expressionistischen Tanzes. Nach seiner Übersiedlung nach England entwickelte er seine Ideen zum kreativen Tanz dort weiter. Besonders in der pädagogischen Arbeit mit Kindern machte er sich einen Namen.
Nach dem Ersten Weltkrieg war der Expressionismus auch aus den anderen Künsten, wie der Malerei, der Literatur und der Musik, nicht mehr wegzudenken. Es kam durch die bedeutenden gesellschaftlichen und politischen Veränderungen zu einem Ausbruch aus alten Formen und Mitteln des künstlerischen Ausdrucks. Kunst wurde zum Ausdrucksmittel des ganz persönlichen Lebens und Fühlens. Im Tanz schlug sich dies unter anderem in der Verwendung von Masken sowie dem Einsatz von Rhythmusinstrumenten nieder. Auch Tänze ohne Musik waren dabei möglich. Die Improvisation und der Einzeltanz rückten in den Fokus. Die Individualität war plötzlich wichtig geworden. Das führte auch dazu, dass der Expressionistische Tanz vor allem durch Einzelpersonen bekannt wurde, darunter viele Frauen. Beispiele dafür sind Mary Wigman oder Dore Hoyer.
Geprägt durch die Wirren in der Kriegszeit verlor der expressionistische Ausdruckstanz nach dem Zweiten Weltkrieg an Bedeutung. Allerdings existierte weiterhin noch die Tanzschule von Mary Wigman. Wigman selbst war zwar nicht mehr ausübende Künstlerin, aber sie erarbeitete noch Choreografien wie beispielsweise „Le sacre du printemps“ (Das Frühlingsopfer) von Strawinsky im Jahre 1957. Allein die Tänzerin Dore Hoyer trat noch bis zu ihrem Tod im Jahr 1967 in bedeutungsvollen Soloabenden auf die Bühne.
Der Ausdruckstänzer Jean Weidt kam nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem Exil nach Deutschland zurück und begründete eine neue Form des Ausdruckstanzes, dem aber wegen seiner Staatsnähe zur DDR die Anerkennung verwehrt blieb. Im Jahr 1966 wurde Weidt vom Opernregisseur Walter Felsenstein an die Komische Oper in Berlin geworben, wo er ab diesem Jahr das erfolgreichste und modernste Tanztheater zusammen mit Tom Schilling aufbaute.
Unter dem starken Einfluss des Modernen Tanzes vereinten nun viele Künstler Ausdruckstanz und Ballett zu einer neuen Tanzform, dem Tanzdrama. Wegweisend in dieser Richtung war eine Uraufführung von Balanchine und Martha Graham mit dem Titel „Épisodes“ im Jahre 1959. Nun führten ehemalige Schüler von Graham, allen voran Merce Cunningham, neue Elemente in das Ballett ein. Es bildeten sich experimentelle Ballett-Stile heraus, in denen die Erfahrungen der beiden Weltkriege und der fortschreitenden Umweltzerstörung zusammenflossen.
Im Übergang vom 20. zum 21. Jahrhunderts existieren unterschiedlichste Arten von Tanzgruppen, die sich unter dem Einfluss des Ausdruckstanzes verstehen. Jede ernstzunehmende Tanzausbildung hat heute das Fach „Moderner Tanz“ zum Inhalt. Besonders die jungen Künstler lassen auch den solistischen Ausdruckstanz wieder aufleben. Zum Repertoire dieser Künstler zählen beispielsweise die Tänze von Dore Hoyers über die menschlichen Leidenschaften.
Solotänzer wie Susanne Linke, Ismael Ivo, Arila Siegert und Reinhild Hoffmann arbeiten auch gleichzeitig als Choreografen. Der Dokumentarfilm „Tanz mit der Zeit“ führt die Arbeit der Choreografin Heike Hennig vor Augen. Diese zeigt in verschiedenen Tanzstücken an der Oper Leipzig, wie lebendig moderne Tanzgeschichte sein kann.
Berühmte deutsche Choreografen, die vom expressionistischen Ausdruckstanz beeinflusst sind, sind beispielsweise: William Forsythe, Daniela Kurz, Constanze Macras, Arila Siegert, Sergej Gleithmann, Raimund Hoghe, Felix Ruckert und Sasha Waltz.
Ein empfehlenswerter Film zu diesem Thema ist „Im Winter ein Jahr“ von Karoline Herfurth. Dort können auch Laien einen überzeugenden Einblick in die Geschichte des Ausdruckstanzes und seine Ausprägungen in der heutigen Form gewinnen.